Das Hochstapler-Syndrom verstehen und behandeln
Unter dem Hochstapler-Syndrom bzw. Impostor-Syndrom (engl. impostor = Blender, Schwindler, Hochstapler) versteht man in der Psychologie ein Phänomen, bei dem betroffene Menschen ihre Erfolge trotz offensichtlicher Beweise stets als Glücks- oder Zufall anzweifeln. Sie sind nicht in der Lage, Erfolg auf eigene Fähigkeiten und Leistungen zu beziehen. Vielmehr erklären sie diesen mit der Überschätzung ihres Könnens. Der Selbstzweifel ist so deutlich ausgeprägt, dass Betroffene unter der ständigen Angst leben, mit ihrem tatsächlichen Unvermögen entlarvt zu werden.
Glück. Nicht Können. – Symptome beim Hochstapler-Syndrom
“Ich warte nur auf den Moment, in dem auffliegt, dass ich meinen Erfolg gar nicht verdient habe. Irgendwann merken bestimmt alle, dass ich doch gar nichts kann und keine Ahnung habe.“ Diese Gedanken des Selbstzweifels und die Angst, jemand könne ihnen vermeintlich auf die Schliche kommen, beschreiben die Haltung von Menschen, die unter dem Hochstapler-Syndrom leiden.
Folgende Auffälligkeiten und Symptome sind außerdem typisch bei Betroffenen:
- Der eigene Erfolg wird stets in Frage gestellt
- und mit Glück, Zufall, Timing oder anderen externen Gründen (z.B. Wohlwollen des Chefs oder Affirmative Action) erklärt.
- Depressive Verstimmungen und Angstzustände sind nicht selten: “Impostor” sind überzeugt, entlarvt zu werden und von einem auf den anderen Tag den Job zu verlieren wird als gegeben angesehen.
- Arbeitswahn, um die Fassade des Perfektionismus aufrecht zu erhalten, bis hin zu Burnout.
Impostor-Syndrom: Eigentlich ein Persönlichkeitsmerkmal
Diese Stimme im Kopf, diesen Selbstzweifel kennt jeder. Gerade bei Antritt einer neuen Position sind sie sogar völlig normal und richtig. Wenn der Zweifel jedoch zum ständigen Begleiter wird und die eigene Leistungsfähigkeit blockiert, sollte man sich damit auseinandersetzen. Dabei stellt das Impostor-Syndrom weniger eine krankhafte Störung dar, vielmehr ist es ein Persönlichkeitsmerkmal. Während der ursprüngliche Ansatz davon ausgeht, dass das Persönlichkeitsmerkmal unveränderlich ist, zeigen neuere Arbeiten, dass das Hochstapler-Syndrom als Reaktion auf bestimmte Stimuli und Ereignisse zurückzuführen ist. Circa 70 Prozent aller Menschen fühlen sich unter gewissen Umständen oder Zeiten als Hochstapler. Bestimmte demographische Gruppen sind häufiger betroffen:
Hochstaplerinnen – Betrifft das Phänomen Frauen im Besonderen?
Jein. Studien, etwa von Joe Langford & Pauline Clance (The imposter phenomenon. Recent research findings regarding dynamics, personality and family patterns and their implications for treatment, 1993), belegen, dass Frauen und Männer in einem etwa gleichen Verhältnis vom Hochstapler-Syndrom betroffen sind. Dennoch wird insbesondere in der Feminismus-Debatte ein Bezug zur Häufigkeit des Syndroms bei weiblichen Betroffenen hergestellt. Tatsächlich haben die ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Impostor-Syndrom von Pauline Clarence und Suzanne Imes an der Georgia State University aus dem Jahr 1978 erfolgreiche Frauen im Fokus. Trotz offenkundiger Beweise, etwa eine Professur, entkräfteten diese Frauen ihre Erfolge durch Einwände wie: “Ich bin nicht gut genug. Da muss ein Fehler passiert sein.” Jüngste Studien belegen, dass das Impostor-Phänomen dabei weniger vom biologischen Geschlecht abhängt, sondern von den Geschlechterrollen, die sich Betroffene selbst zuschreiben. Menschen mit Eigenschaften, die man stereotypisch eher mit Weiblichkeit assoziierte – wie Feinfühligkeit und Empathie –, leiden öfter unter diesem Phänomen. Unabhängig davon, ob sie Mann oder Frau sind.
Impostor-Selbstzweifel: Häufiger bei Minderheiten?
Eine Studie aus dem Jahr 2006 von Elizabeth Vera, Veronica Vasquez und Rebecca Corona (Women of Color) zeigt, dass Afroamerikaner (in den USA) demographisch zu der Gruppe gehören, die eher vom Impostor-Syndrom betroffen ist. Positive Diskriminierung führe dazu, dass “Impostor” davon ausgehen, erfolgreich zu sein, weil sie als Minderheiten bevorzugt würden. Ähnliches berichtet auch die Journalistin Dilek Güngör: Als Zugezogene mit türkischem Migrationshintergrund festigte sich die subtile Diskriminierung und die mangelnde Anerkennung zu einem Selbstbild, das kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zuließ.
Vielbegabte und Generalisten = wahrscheinlich Tiefstapler?
Nicht selten haben Universalisten (auch Generalisten, Vielbegabte, Multitalente, Scanner-Persönlichkeiten) das Gefühl, ein Hochstapler zu sein. Die unbändige Neugier an einer Vielzahl von Themen und der Akzent auf Vielfalt statt Spezialisierung geht häufig damit einher, sich unverstanden und anders als die Anderen zu fühlen. Meist benötigen vielseitig begabte Menschen weniger Anstrengung, um Schule, Studium und Karriere zu bewältigen. Das vergrößert das Gefühl, sich “durchgemogelt” und den Erfolg eigentlich nicht verdient zu haben.
Große Leistungen = großer Selbstzweifel
Besonders Personen mit hohem Bildungsniveau sind vom Hochstapler-Phänomen betroffen. So hat zwei Drittel aller Ärzte zumindest gelegentlich das Gefühl, ein Blender zu sein sowie jeder zweite Studierende und Doktorand. Ebenso soll geschätzt die Hälfte aller Führungskräfte mit dem Impostor-Syndrom kämpfen. Grundsätzlich kann das Phänomen jeden treffen.
Mögliche Ursachen für das Hochstapler-Syndrom
Woher kommt das irrationale Selbstzweifeln und die Versagensängste? In der Psychologie ist man sich einig, dass ein leistungsabhängig geprägtes Selbstwertgefühl zu den Ursachen gehört, die das Hochstapler-Syndrom begünstigen. Die Wechselwirkung zwischen Anlage und Einfluss der Umwelt führen dazu, dass die Betroffenen sich nur dann wertvoll fühlen, wenn sie etwas leisten; etwa durch die Sozialisation in einer Familie, die einen sehr hohen Leistungsanspruch setzt. Auch der Leistungsanspruch der Gesellschaft, höher, schneller, besser und kompetenter sein zu müssen, schürt den Druck und erhöht die Angst vor Kritik und Ablehnung. Hinzu kommt: Über Versagensängste im Beruf wird leider selten gesprochen. Dies verzerrt den schon hoch gesetzten Selbstanspruch zusätzlich.
Diagnose Impostor-Syndrom – Bin ich von dem belastenden Denkmuster betroffen?
Finden Sie sich in diesen Punkten wieder?
- Perfektionistische Ambitionen und Drang nach Genialität: In einem meist überhöhten Konkurrenz- und Leistungsgedanken sind Betroffene dem Zwang unterworfen, stets der oder die Beste sein zu wollen. Nur Bestleistungen ernten Zufriedenheit, mittlere Leistungen hingegen große Enttäuschung.
- Kreislauf der Sorgen vor Misserfolg: Die Angst vor dem Scheitern führt dazu, dass Betroffene sich entweder prokrastinierend viel zu spät an die Bearbeitung einer Aufgabe machen oder umgekehrt verfrüht viel Zeit investieren. Die Folge: Exzessives Arbeiten. Im Resultat wird der “Impostor” bei der Idee bestärkt, dass extremes Arbeiten die Voraussetzung für Erfolg ist. Die Angst vor dem Versagen bei der nächsten Aufgabe wird erneut angekurbelt.
- Kompetenz-Zeugnis: Die Betroffenen neigen zur selbstlosen Ursachenzuschreibung und einer chronischen Selbstunterschätzung der eigenen Fähigkeiten. Negative Ergebnisse ordnen sie sich selbst zu, positive Leistungen jedoch nicht. Überdies werden Misserfolge als Bestätigung geringer Intelligenz gewertet, nicht als Feedback für Verbesserungen. Die Folge: Ein gedämpftes Selbstbewusstsein.
- Selbstmaskierung: Aufgrund ihres sehr überlegten und an den Kontext angepassten Handelns wirken “Impostor” wenig authentisch. Durch die vermehrte Selbstbeobachtung, um die Außenwirkung zu kontrollieren, sind sie eher passiv in Gesprächen.
Schnellhilfe bei subjektiver Hochstapelei
- Anerkennen Sie die hinderlichen Verhaltensweisen und steuern Sie bewusst dagegen.
- Setzen Sie realistische Anforderungen an sich selbst.
- Verstehen Sie Kritik und Misserfolge als eine Form sich weiterzuentwickeln und nicht als persönliche Niederlage.
- Nehmen Sie Lob von Kollegen an.
- Visualisieren Sie Erfolg und notieren Sie in einem Tagebuch, was sie heute geschafft haben.
- Machen Sie Ihr „Geheimnis“ öffentlich.
- Machen Sie sich bewusst: Der Bluff wird nicht auffliegen, weil es keinen gibt.
- Suchen Sie sich Unterstützung.
Dem System der Niedrigstapelei durch Behandlung nachhaltig entkommen
Nicht selten verschwindet das konsequente Zweifeln an sich selbst nicht so einfach. Die belastenden Denkmuster haben sich über einen längeren Zeitraum gebildet. Es braucht Zeit und Arbeit und vielleicht auch mehr Unterstützung, sich selbst in der Klarheit zu sehen, die notwendig ist, den Kreis des Zweifelns zu durchbrechen. Besonders wenn das Phänomen stark ausgeprägt ist, benötigen Sie eventuell Lösungen, den Leidensdruck und Stress zu bewältigen.
Wenn Sie sich mit dem Hochstapler-Syndrom für eine Behandlung durch Supervision oder kognitive Verhaltenstherapie in Berlin interessieren, habe ich ein offenes Ohr für Sie. Gern stehe ich Ihnen für ein erstes Gespräch in meiner Praxis für Psychotherapie zur Verfügung und wir überlegen gemeinsam, wie wir uns Ihrem Problem stellen möchten. Neben der Arbeit an Ihrem Selbstverständnis und dem Verständnis von eigenem Erfolg kann auch die Aufarbeitung der tieferen Ursache für das Impostor-Syndrom im Zentrum stehen.
Vertrauen Sie auf meine langjährige Erfahrung als Psychotherapeut in Berlin.