Scham & Psychotherapie: Emotionen als verborgene Wegweiser

Gefühle der Scham sind etwas, mit dem viele Menschen still für sich kämpfen. Diese tiefen Empfindungen können schwerwiegende Auswirkungen auf unser Selbstbild sowie unsere Beziehungen haben. Sie können uns zurückhalten und zu einem verborgenen Widersacher werden. Gleichzeitig haben Schamgefühle einen Nutzen. Im Leben allgemein als auch in der Therapie selbst. Inwiefern bei starkem Leidensdruck wegen Scham eine Psychotherapie helfen kann und wie Scham mit der Therapie in Wechselwirkung steht, beleuchte ich in diesem Beitrag.

Person versteckt schamvoll ihr Gesicht in der Kapuze eines gelben Hoodies

Was ist Scham eigentlich genau?

Scham ist ein komplexes Gefühl, das wir als unangenehm oder schmerzhaft erleben. Es resultiert aus dem Bewusstsein oder der Wahrnehmung, etwas falsch gemacht zu haben oder in irgendeiner Weise unzureichend, fehlerhaft oder minderwertig zu sein. Unsere Handlungen oder Gedanken können Schamgefühle auslösen, aber auch die Sorge, den Erwartungen anderer nicht gerecht zu werden oder von anderen negativ bewertet zu werden. Sie sind mit dem Selbstbild verknüpft und können somit tiefgreifende Auswirkungen auf unser Selbstwertgefühl und unser soziales Verhalten haben.

 

Der Wunsch, im Boden zu versinken

Wie zeigt sich Scham? Für jeden fühlt sich diese Emotion unterschiedlich intensiv an. Körperliche Anzeichen können sich unter anderem als Schwitzen, Zittern, Erröten, Stottern, Panik und Anspannung oder ein “Sich-klein-machen” äußern. Ein zentrales Merkmal der Scham ist das Gefühl der Exponiertheit, verbunden mit dem Wunsch, sich zu verstecken oder sich unsichtbar zu machen. Möglich ist auch eine Art Starre, sodass man plötzlich nicht mehr wie gewohnt denken und sprechen kann. Manchmal allerdings bleibt unsere Scham im Vorborgenen und ist schwer als solche zu erkennen.

 

Wenn sich die Scham selbst versteckt – Abwehrmechanismen & Umformungen

Manchmal projizieren Personen ihre Schamprobleme und beginnen, andere abzuwerten und zu beschämen. Um das eigene Schamgefühl – unbewusst – abzuwehren, formen einige sie in Wut, Trotz, Arroganz, Verachtung oder sogar Schamlosigkeit um. Der Kampf mit der Scham kann sich hinter Isolation, Selbsthass, Traurigkeit, Depression, Ängsten, Essstörungen oder Suchterkrankungen verbergen. Nicht zuletzt können psychische Erkrankungen zusätzlich Scham über die Krankheit hervorrufen.

Mit hautfarbenem Stoff überzogenes Gesicht: Scham als getarnte Emotion

Verschiedene Arten von Schamgefühl: Von gesund bis toxisch

Es gibt verschiedene Typen von Scham, die sich in ihren Ursachen und Symptomen unterscheiden. Dabei kann Scham grundsätzlich auch nützlich sein.

 

“Gesunde” Scham

Während der kindlichen Entwicklung nimmt Scham eine wichtige Stellung ein, indem sie das Kind lehrt, sich an die Normen einer Gemeinschaft anzupassen. In moderaten Mengen kann Scham daher eine konstruktive Rolle spielen, indem sie unser soziales Verhalten steuert. Scham ist zudem mit unserem Gewissen verbunden und untermauert auf diesem Wege moralische Werte. Sie schützt uns auch körperlich und seelisch, indem sie als Schutzschild regelt, wie nah wir unsere Mitmenschen an uns heranlassen möchten. Außerdem nehmen wir “dank” Scham mehr Rücksicht auf andere Menschen – von diesen empathischen Schamgrenzen profitiert unsere eigene Sicherheit.

 

“Problematische” Formen von Scham

Sofern Scham jedoch überwältigend oder chronisch wird, kann sie zu sozialer Angst, Depression, niedrigem Selbstwertgefühl und emotionalen Problemen führen. Diese Arten “negative” Scham sind besonders bedeutsam:

  • Persönliche Scham: Das Gefühl, als Person nicht gut genug zu sein.
  • Kulturelle oder familiäre Scham: Scham, die aus dem Nichterfüllen der Erwartungen oder Normen einer bestimmten Gruppe resultiert.
  • Soziale Scham: Angst vor Ablehnung oder negativer Bewertung durch andere.
  • Toxische Scham: Eine tief verwurzelte, anhaltende Scham, die oft aus missbräuchlichen oder hochkritischen Umgebungen stammt und zu einem chronisch negativen Selbstbild führt. Sie entsteht in unseren frühen Bindungserfahrungen.

 

Beziehungsorientierte Angst als Kern

Bin ich nicht gut genug? Wer könnte jemanden wie mich lieben? Als Therapeut begegne ich diesen Fragen und ähnlichen regelmäßig – vor allem bei Patienten, die meine Angststörung-Therapie in Berlin besuchen. Wir sehen an diesen Fragen: Zur Scham gehört letztlich immer eine hypothetische beurteilende Instanz. Diese kann eine reale oder aber auch eine imaginierte Person oder Gemeinschaft sein.

→ Scham ist im wesentlichen ein beziehungsorientiertes Angstgefühl. Denn allen genannten Facetten von Scham ist eines gemeinsam: die Angst eines sozialen Wesens davor, die Akzeptanz durch einen Anderen oder das Kollektiv zu verlieren, wodurch die eigene Existenz in Bedrohung gerät.

Frau mit unglücklichem Gesicht: Sie hat Schuld- und Schamgefühle

Scham und Schuld als wiederkehrende Themen in der Psychotherapie

Schuld und Scham sind beides tiefgreifende “selbstbewusste Emotionen”, die den Blick ins Innere werfen. Sie sind oft zentral für viele psychische Probleme, einschließlich Angststörungen, Depressionen und Selbstwertproblemen. In der Psychotherapie eröffnen die Themen Scham und Schuld für mich als Therapeut tiefe Einblicke in das emotionale Erleben und die inneren Konflikte des Patienten.

 

Verwechslungsgefahr

Oft verwechseln wir Scham und Schuldgefühle. Worin liegt der Unterschied?

  • Schuld ist die Emotion, die entsteht, wenn wir glauben, etwas Falsches getan zu haben oder gegen unsere moralischen oder sozialen Standards verstoßen zu haben. Es ist eine nach innen gerichtete Reaktion auf unser eigenes Verhalten oder unsere Entscheidungen, die im Konflikt mit unseren Werten stehen. Schuld bezieht sich auf das, was wir getan haben, und nicht darauf, wer wir sind. Personen, die Schuldgefühle haben, sind oft motiviert, Wiedergutmachung zu leisten oder ihr Verhalten zu ändern, um mit ihren eigenen Wertvorstellungen in Einklang zu kommen.
  • Scham geht nicht so sehr darum, was wir getan haben, sondern wer wir sind oder nicht sind, und führt oft zu einem Gefühl der Wertlosigkeit und des Unwürdigseins. Scham ist insofern intensiver und destruktiver als Schuld, als sie das gesamte Selbst betrifft und nicht nur eine spezifische Handlung.

Während Schuld uns dazu bewegen kann, unser Verhalten zu korrigieren und positiv zu wachsen, kann Scham zu einem lähmenden Zustand führen, der unseren Selbstwert und unser psychisches Wohlbefinden untergräbt. Beide Emotionen spielen in der Psychotherapie eine wichtige Rolle, da das Verstehen und Bearbeiten dieser Gefühle helfen kann,

  • Selbstakzeptanz zu fördern,
  • Heilungs- und Wachstumsprozesse zu unterstützen,
  • dysfunktionale Gedankenmuster zu durchbrechen.

Ansätze in der Psychotherapie: Was tun gegen Schamgefühle?

Jeder Mensch ist einzigartig und was in einer Therapie funktioniert, kann von Person zu Person variieren. In meiner Praxis für Psychotherapie in Berlin stimme ich die therapeutische Strategien stets auf die spezifischen Bedürfnisse und biografischen Hintergründe meiner Patienten ab.

 

Mögliche Methoden sind:

  • Oft entstehen Schamgefühle aus früheren Erfahrungen, einschließlich Traumata, Missbrauch oder Vernachlässigung. Durch das Verstehen der tiefer wurzelnden Ursachen der Scham können Betroffene beginnen, sich von diesen Emotionen zu distanzieren.
  • In einigen Fällen kann Scham aus sozialer Angst oder Unbeholfenheit resultieren. Hier ist es wichtig, die Sozialkompetenz durch stetes Üben auszubauen.
  • Mit Hilfe der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) nutze ich Techniken zur Identifizierung und Herausforderung negativer Gedankenmuster, die Scham fördern. Indem Patienten lernen, diese Gedanken zu erkennen und in Frage zu stellen, können sie beginnen, sich selbst in einem positiveren Licht zu sehen.
  • Für manche Leidtragende kann die schrittweise und kontrollierte Exposition gegenüber Situationen, die Scham auslösen, unter therapeutischer Anleitung dazu beitragen, die Intensität der Schamreaktionen zu verringern.
  • Ich gebe Patienten Strategien an die Hand, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken, wodurch sich ihre Anfälligkeit für Scham mindern kann. Beispiele hierfür sind: Selbstgespräche, Selbstfürsorge sowie das Setzen und Erreichen persönlicher Ziele.
  • Wir üben, Selbstkritik durch Selbstmitgefühl zu ersetzen, mit dem Ziel, sich selbst mit derselben Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen, die man einem guten Freund entgegenbringen würde.

 

Umgang mit Scham: Kann sie für den Erfolg einer Psychotherapie eine Hürde bilden?

Betroffene können zögern, a) sich überhaupt Hilfe zu suchen oder b) in der Therapie über ihre tiefsten Gedanken und Emotionen zu sprechen. Dies kann den therapeutischen Prozess behindern, denn eine offene Kommunikation ist für den Erfolg der Therapie unerlässlich. Diejenigen, die sehr intensive Schamgefühle erleben, neigen zudem möglicherweise dazu, bestimmte Themen oder Situationen in der Therapie zu vermeiden. Oder sie schämen sich gar für ihre Scham. So kommen manche Themen vielleicht erst sehr spät ans Licht.

Alle diese Aspekte erschweren den Aufbau einer starken vertrauensvollen Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Für den Umgang mit Scham ist es entscheidend, dass ich als Therapeut einen sicheren, urteilsfreien Raum schaffe, in dem meine Patienten sich ermutigt fühlen, über ihre Schamgefühle zu sprechen.

Frau lächelt im Spiegel: Erfolge in der Therapie von Schamgefühlen

Chancen für persönliches Wachstum finden

Verspüren Sie aufgrund von Schamgefühlen einen Leidensdruck in bestimmten Bereichen Ihres Lebens? Erkennen Sie in den obigen Schilderungen Konflikte, die Sie umtreiben? Die Bewältigung und Überwindung von Scham erfordert eine Kombination aus Selbstreflexion, Unterstützung durch andere und gegebenenfalls professionelle Hilfe.

Allen Betroffenen möchte ich ans Herz legen, dass Schamgefühle uns auch immer zeigen, wo unsere Denkweisen und unsere Konditionierung unverrückbar erscheinen. Diese vermeintliche Einschränkung können wir gemeinsam erkunden und als Wegweiser nutzen. Unser Ziel in der Zusammenarbeit wird sein, dass Sie durch neue Gedanken und Erfahrungen ein nachhaltig gesünderes Selbstverständnis lernen – für Ihr persönliches Wachstum und eine bessere Lebensqualität.
Nehmen Sie gerne Kontakt mit meiner Praxis auf, ich stehe Ihnen gerne als Therapeut auf diesem Weg zur Seite.