Skin Picking: Behandlung bei Dermatillomanie

Wie lässt sich zwanghaftes “Knibbeln” an der eigenen Haut therapieren?

Skin Picking — auch als Skin Picking Disorder oder Dermatillomanie bezeichnet — ist eine psychische Erkrankung im Zusammenhang mit Zwangstörungen. Übersetzt bedeutet es so viel wie “Haut-Aufkratzen-Störung”. Es zeichnet sich durch wiederholtes zwanghaftes Kratzen oder “Knibbeln” an der eigenen Haut aus, was zu geröteten Stellen, blutenden Verletzungen bis hin zu erheblichen Gewebeschädigungen führen kann. Notorische Knibbler werden auch als Skin Picker bezeichnet. Durch die Ausübung selbst sowie durch die sichtbaren Folgeschäden empfinden die Betroffenen häufig Scham und Schuldgefühle. In extremen Fällen führt Skin Picking zu einer sozialen Isolation.

Die Erkrankung ist üblicherweise chronisch, wobei sich Remissionsperioden mit Perioden stärkerer Symptomatik abwechseln. Im DSM-4 wird Dermatillomanie noch als Impulskontrollstörung eingeordnet, im neueren DSM-5 jedoch als Zwangsspektrumsstörung. Damit gehört sie als Zwangsstörung bzw. Zwangserkrankung zu den anerkannten psychischen Störungen.

Je stärker das zwanghafte Verhalten von dem sonst üblichen Verhalten abweicht und je mehr es den Betroffenen in seinem alltäglichen Leben beeinträchtigt, umso eher wird von einer Störung oder Erkrankung gesprochen. Zwangsstörungen zählen zu den schweren seelischen Leiden. Betroffene verspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Durch eine professionelle Behandlung kann Betroffenen in der Regel gut geholfen werden.

Depression Therapie

Ursachen und Prävalenz

Die Krankheit ist bisher nur wenig erforscht, sodass gegenwärtig keine genaue Ursache der Skin Picking Disorder bekannt ist. Es gibt jedoch Hinweise, dass die Störung häufiger bei Personen auftritt, deren Eltern, Geschwister oder Kinder ebenfalls an Zwangsstörungen leiden, als bei Personen ohne Zwangsstörungen in naher Verwandtschaft. Das deutet auf eine genetische Disposition hin.

Dermatillomanie ist ein körperfokussiertes, repetitives Verhalten (BFRB — Body-Focused Repetitive Behavior), das typischerweise während der Pubertät beginnt oder sich dieser direkt anschließt. Die Krankheit kann jedoch auch bei Kindern (unter 10 Jahren) oder bei Erwachsenen (zwischen 30 und 45 Jahren) auftreten.

Ebenfalls wird ein Zusammenhang mit Akne als begünstigender Entstehungsfaktor angenommen. Des Weiteren sind nach bisherigen Untersuchungen häufiger Frauen betroffen als Männer. Genaue Untersuchungen und Statistiken liegen jedoch noch nicht vor, sodass zunächst nur grobe Schätzungen gelten. Auch spezifisch definierte Kriterien zur Erkennung und Einteilung der Erkrankung gibt es noch nicht.

Viele Experten sehen in Skin Picking eher ein Symptom bzw. ein Ventil. Ein hoher psychischer Druck (z. B. Stress, Angst, Lebenskrisen, belastende Situationen, Anspannung, Überforderung usw.) oder körperliche Belastung wird als Auslöser für einzelne Skin-Picking-Episoden diskutiert. Auch Langeweile wird als Auslöser in Betracht gezogen.

Koexistierende Erkrankungen oder Störungen

Eine Skin Picking Störung tritt häufig zusammen mit anderen Zwangsstörungen bzw. anderen körperfokussierten repetitiven Verhaltensweisen wie Onychophagie (exzessives Nägelkauen) oder Trichotillomanie (krankhaftes Haareausreißen) auf. Häufig fallen diese Verhaltensstörungen auch mit schweren depressiven Störungen zusammen.

Symptome: Wie äußert sich Skin Picking?

Der Fachbegriff “Dermatillomanie” setzt sich aus den griechischen Begriffen “Derma” = Haut, “tillein” = rupfen, zupfen und “Mania” = Begeisterung, Wahnsinn zusammen. Dieser Begriff beschreibt das vorliegende Problem in seinen Symptomen ziemlich genau.

Betroffene Personen empfinden in der Regel einen starken inneren Drang, bestimmte Stellen an der Haut zu betasten und in einer persönlich präferierten Art und Weise zu “bearbeiten”.

Hierbei sind die Betroffenen nicht zimperlich: Heftiges Kratzen, Ziehen, Reißen, Reiben, Drücken, Quetschen, Beißen, Stechen, Bohren oder Schneiden mit unterschiedlichen Hilfsmitteln wie die eigenen Fingernägel und Zähne, aber auch Scheren, Nadeln, Messer, Pinzetten oder andere spitze oder scharfe Gegenstände sind ein typisches Merkmal der Erkrankung. Häufig begleiten andere wiederholende Handlungen das Skin Picking oder gehen diesem voraus. Viele Skin Picker suchen beispielsweise akribisch nach einer Hautunebenheit bestimmter Art, bevor sie dort mit den Fingernägeln oder mit einer Pinzette gezielt herumzupfen.

Ziel der Attacken können individuell ganz unterschiedliche Haut- und Körperstellen sein, u.a. gesunde Haut, minimale Hautunebenheiten, Pickel, Bläschen, trockene Hautstellen, Krusten, Schorf, Härchen, Schwielen, Hornhaut, Narben oder Muttermale. Gehäuft werden leicht zugängliche Hautareale Ziel der Angriffe, also Gesicht, Kopfhaut, Hals, Brust, Schultern, Arme oder Hände. Aber auch schwieriger zugängliche Körperstellen wie Fußsohlen, Oberschenkel oder Waden werden malträtiert. Die Stellen, die bearbeitet werden, können im Laufe der Zeit variieren.

Einige Betroffene zupfen an ihrer Haut automatisiert oder reflexartig, das heißt, ohne sich dessen voll bewusst zu sein. Andere sind sich ihrer Aktivität bewusst und wehren sich zwar gedanklich gegen den auftretenden Drang, können diesem jedoch willentlich meist nichts entgegensetzen. Während der Aktivität selbst — egal ob bewusst oder unbewusst — nehmen Betroffene Schmerzen in der Regel nicht oder in einem nur sehr geringen Ausmaß wahr, sodass die Schutzfunktion des Körpers vor einer Selbstschädigung versagt. Stattdessen verspüren Skin Picker während der Ausübung eher Vergnügen, Entspannung oder Befriedigung. Erst gegen Ende oder nach der Handlung können bei Betroffenen Reue, Schuldgefühle oder Selbstvorwürfe auftreten.

Obwohl die Betroffenen wissen, welche Schäden durch das Fehlverhalten an ihrer Haut entstehen, können sie es nicht oder kaum verhindern. Oft hören sie nur damit auf, weil der Drang nachlässt oder weil sie erschöpft sind. Im Anschluss an eine Episode wird die zerstörte Haut oftmals gepflegt, gereinigt und der Schaden möglichst versteckt, bis der Drang erneut einsetzt. In folgenden Episoden werden noch nicht verheilte Wunden erneut aufgerissen oder neue Hautstellen gesucht, die bearbeitet werden.

Die Zeit, die pro Tag für Skin Picking aufgewendet wird, variiert von Fall zu Fall und ist auch nicht jeden Tag identisch. Angaben von Betroffenen reichen von mehreren Minuten bis zu mehreren Stunden pro Skin-Picking-Episode. Häufig wird von mehreren Episoden pro Tag berichtet, in manchen Fällen gar von mehr als hundert Episoden am Tag.

Test: Leiden Sie an Dermatillomanie / Skin Picking Disorder?

Alle Menschen kratzen von Zeit zu Zeit ihre Haut, drücken auch mal ein Pickelchen aus oder tasten eine Hautstelle ab — das ist ganz normal. Sie könnten jedoch selbst an einer Skin Picking Störung leiden, wenn Sie:

  • nicht aufhören können, Ihre Haut zu kratzen, zu reiben, zu quetschen oder auf eine andere Art heftig zu bearbeiten,
  • Schnittverletzungen, Blutungen oder Blutergüsse verursachen, wenn Sie eine Hautstelle bearbeiten,
  • gehäuft Leberflecke, Muttermale, Sommersprossen, Narben oder andere Hautunebenheiten betasten oder kratzen, um diese zu glätten,
  • nicht immer bemerken, dass Sie Ihre Haut bearbeiten, oder es im Schlaf machen,
  • gehäuft mit Ihrer Haut beschäftigt sind, sobald Sie sich ängstlich oder gestresst fühlen,
  • keinen oder nur einen geringen Schmerz empfinden, obwohl bereits eine deutliche Verletzung zu sehen ist.

Folgen von Skin Picking

Psychische Auswirkungen

Zu Beginn der Erkrankung, gerade auch bei Jugendlichen, fehlt bei Betroffenen zunächst die Erkenntnis, dass es sich bei der “schlechten Angewohnheit” des “Knibbelns” um mehr als nur eine simple Marotte oder einen Tick handelt. Erst im Laufe der Zeit und mit der zunehmenden Manifestation der Erkrankung werden sich Betroffene ihres Problems durchaus bewusst und schämen sich dafür. Das Schamgefühl kann soweit reichen, dass sie die Hautschäden kontinuierlich verstecken wollen, beispielsweise durch Kleidung oder durch Make-up. Dadurch sind sie einer großen psychischen Belastung ausgesetzt. Die Furcht, unangenehmen Blicken, Fragen und Zurückweisung ausgesetzt zu sein, erhöht den inneren Leidensdruck, der wiederum erneute Skin-Picking-Episoden auslösen kann. Eine Abwärtsspirale entsteht. Das Unwohlsein wird dabei in verschiedene Stufen unterteilt und kann im schlimmsten Fall zu schweren Depressionen führen, da oftmals eine soziale Entkopplung stattfindet.

Gesundheitliche Auswirkungen

Das wiederholte Aufreißen von Wunden führt häufig zu Entzündungen, immer stärkeren größeren Verletzungen und letztlich zur Narbenbildung. Durch Einreißen oder Abreißen von Hornhaut oder Bohren in der Haut können tiefer liegende Hautschichten geschädigt werden. Daraus können sich tief liegende Defekte oder Hautgeschwüre (sog. Ulcus) bilden.

Auf den menschlichen Händen tummeln sich aller Regel unzählige verschiedene Bakterien und Keime. Hierbei können auch gefährlichere Erreger dabei sein, beispielsweise Darmkeime (Enterokokken), Eiterkeime (wie Staphylococcus Aureus) oder Acinetobacter (sog. Krankenhauskeim), ein Erreger, der bei immungeschwächten Menschen Wundinfektionen verursachen kann. Da Betroffene eher “zwischendurch” und nicht unbedingt nach peniblem Händewaschen dem Drang nachgeben, die geschädigte Haut zu berühren oder weiter zu verletzen, können durch Skin Picking vermehrt Keime durch die geschädigte Hautbarriere in den Organismus eindringen. Das erhöht das Infektionsrisiko für Betroffene.

Behandlung

Mit dem Vorsatz, sich selbst zu beherrschen und die Haut in Ruhe zu lassen, ist es oft nicht getan. Vielmehr bedarf es einer fachgerechten Behandlung der Erkrankung. Es gibt Hinweise darauf, dass sowohl eine medikamentöse Behandlung als auch die kognitive Verhaltenstherapie die Symptome von Skin Picking wirksam reduzieren können. Eine Kombination der Behandlungsmethoden ist ebenfalls denkbar.

Psychotherapie

Psychotherapeutische Behandlungsansätze arbeiten unter anderem mit kognitiver Verhaltenstherapie – sie ist die Methode der Wahl. Die kognitive Verhaltenstherapie hilft Betroffenen zu verstehen, wie ihre Gedanken und Verhaltensmuster zusammenhängen, und wie sie das repetitive Verhalten reduzieren können. Betroffene lernen hierbei, wie sie ihre Gedanken bewusst derart ändern können, dass sie Auslösern oder ersten Anzeichen besser begegnen können. Zudem erlernen sie hierbei ein alternatives, funktionaleres Verhalten, auf welches sie in Auslöser-Situationen zurückgreifen können, ohne sich zu schaden. Dieses sog. Habit-Reversal-Training hat sich bei ähnlich gelagerten Zwangsstörungen bereits bewährt.

Medikamente

  • Zu einer erfolgreichen Behandlung der Skin Picking Disorder können Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI) gehören, eine Klasse von Antidepressiva, die dazu beitragen, Zwangsgedanken und zwanghafte Verhaltensweisen zu reduzieren.
  • Ein neuerer Ansatz besteht bei der ähnlich gelagerten Trichotillomanie (krankhaftes Haareausreißen) in der Gabe von N-Acetyl-Cystein, das die Impulskontrolle durch Regulierung des Glutamat-Stoffwechsels positiv beeinflussen soll.

Tipps: Das können Sie selbst versuchen, um sich vom Skin Picking abzuhalten

Bevor Sie sich in fachkundige Hände begeben, können Sie versuchen, Ihr Verhalten zu analysieren und strategisch vorzugehen.

  • Ermitteln Sie, wann und wo Sie Skin Picking am häufigsten ausführen und versuchen Sie, diese Auslöser und Gefühle zu vermeiden.
  • Versuchen Sie, jedes Mal länger und länger zu widerstehen, wenn Sie den Drang verspüren, bestimmte Hautstellen zu berühren oder zu kratzen.
  • Pflegen Sie die Haut, sobald Sie Bedürfnis verspüren, zum Beispiel mit einer Feuchtigkeit spendenden Hautcreme.
  • Halten Sie Ihre Hände beschäftigt. Sie können beispielsweise einen weichen Ball kneten, einen Stift festhalten oder die Hände falten.
  • Erzählen Sie Freunden oder Bekannten von Ihrem Problem. Sie können Ihnen helfen zu erkennen, wann Sie Ihre Haut schädigen.
  • Halten Sie Ihre Haut sauber, um die Wundheilung zu fördern und Entzündungen zu vermeiden.
  • Lassen Sie Ihre Nägel nicht zu lang wachsen, sondern halten Sie sie kurz und gepflegt.
  • Bewahren Sie Gegenstände wie Nagelscheren, Pinzetten oder Nadeln an einem Ort auf, den Sie nicht so leicht erreichen können.