Videospielsucht erkennen und therapieren
Die Videospielsucht, auch Computersucht oder Computerspielabhängigkeit genannt, äußert sich durch die zwanghafte Nutzung von Computer- und Videospielen. Da sie zumeist den Freiheitsgrad der Betroffenen massiv einschränkt, kann sie als pathologisch definiert werden. Es sind mehrere gut dokumentierte Todesfälle bekannt, die direkt auf die Erschöpfung durch das Spielen über einen langen Zeitraum zurückzuführen sind.
Seit Juni 2018 führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Videospielsucht erstmalig in ihrem Katalog der Krankheiten (ICD-11). Als “Gaming Disorder”, zu deutsch “Spielstörung”, wird die Abhängigkeit von Videogames als eigenständige Krankheit anerkannt und neben anderen Suchtkrankheiten wie Glücksspielsucht genannt. Im vorigen ICD-10 wurde diese Form der Sucht lediglich unter F63 als “Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle” geführt.
Welche Symptome liegen bei einer Computersucht vor?
Zur Erkennung und Einordnung einer vorliegenden Spielsucht, welche sowohl Online- als auch Offline-Spiele beinhaltet, nennt die WHO im aktuellen Katalog ICD-11 drei wesentliche Kriterien:
- entgleitende Kontrolle bis hin zum Kontrollverlust über das eigene Spielverhalten, u.a. bezogen auf Beginn, Häufigkeit, Dauer oder Beenden der Spieltätigkeit
- steigende Priorität des Spielens vor anderen Interessen oder Aktivitäten des täglichen Lebens
- Fortsetzung des Spielverhaltens trotz negativer Konsequenzen und Spaßverlust
Das Verhaltensmuster bei einer Videospielsucht ist so schwerwiegend, dass es in persönlichen, familiären, sozialen, erzieherischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen zu erheblichen Beeinträchtigungen kommt. Betroffene vernachlässigen Freunde, und Familie — schlimmstenfalls die eigenen Kinder. Schule, Beruf und Hobbys rücken in den Hintergrund. Auch körperliche Grundbedürfnisse wie eine gesunde Ernährung und ein regelmäßiger Schlafrhythmus rücken in den Hintergrund.
Das Verhaltensmuster kann kontinuierlich andauern oder episodisch wiederkehrend sein. Damit die Diagnose “Videospielsucht” gestellt werden kann, sollten die Symptome wenigstens über 12 Monate lang bestehen. Die Diagnose kann jedoch in Ausnahmefällen bereits nach einem kürzeren Zeitraum erfolgen, wenn die vorliegenden Symptome gravierend sind.
Bereits seit 2013 führt das amerikanische psychiatrische Klassifikationssystem DSM-5 (aktuell gültige fünfte Auflage) “Internet Gaming Disorder” (Online-Spiel-Störung) als psychische Störung auf. Damit eine Störung gemäß dem DSM als psychische Störung eingestuft wird, muss diese andauernd oder wiederkehrend sein. Der DSM-5 nennt neun mit der Computerspielsucht verbundene Symptome, von denen über einen Zeitraum von einem Jahr mindestens fünf auftreten müssen, damit eine Diagnose gestellt werden kann:
- Kontrollverlust
- Interessenverlust
- exzessive Nutzung von Computerspielen o.ä.
- Toleranzentwicklung
- Entzugssymptome
- Verschweigen, Vertuschen und Abstreiten der Sucht
- gedankliche Eingenommenheit
- Flucht in die virtuelle Welt
- schwerwiegende, andere Folgen
Kritik an der Anerkennung der Computersucht als Suchterkrankung
Kritiker der Einstufung einer Videospiel- oder Computersucht als Erkrankung oder psychische Störung fürchten, dass Menschen anhand dieser Kriterien fälschlicherweise als therapiebedürftig eingestuft werden könnten. Auch könnten andere zugrunde liegende Probleme wie Depression oder soziale Angststörung verkannt werden.
Vor allem Verfechter der Spielindustrie befürchten, dass Computerspieler pauschal pathologisiert und stigmatisiert werden könnten. Hiermit würde der Branche ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt.
Ursachen für die Spielsucht: Exzessives Spielverhalten wird belohnt
Die Ursachen einer Computerspielsucht sind noch nicht abschließend untersucht. Es gibt viele Theorien über begünstigende Faktoren, die sich sowohl auf die Spielmechaniken als auch auf die individuellen Umstände Betroffener beziehen. Viele Theorien konzentrieren sich auf das eingebaute Belohnungssystem der Spiele, um die süchtig machende Natur der Spiele zu erklären. Wenn man den Blick dann auf den lerntheoretischen Bereich richtet, ist die treibende Motivation für das abhängige Verhalten allein die reine Erinnerung an die positive Suchtmittelwirkung. Die klassische und operante Konditionierung sind dann beispielsweise als Lernprozesse für eine Aufrechterhaltung der Symptomatik verantwortlich.
Teilweise wird auch vermutet, dass die Betroffenen den Wunsch hegen, zumindest zeitweise der Realität zu entfliehen und sich deshalb in den virtuellen Welten der verschiedenen Computerspiele verlieren. Ihre Fantasiewelt scheint irgendwann erstrebenswerter für sie zu sein als ihre Realität, sodass sich eine Sucht weiter festigen kann. Aber auch Affekte wie Macht und Erregung, Spaß und unterschiedliche Glücksgefühle spielen eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Videospielsucht.
Bei vielen Online-Games, in denen man gemeinsam in einer Gruppe von Spielern agieren muss oder mit anderen Spielern konkurriert, wird langes und häufiges Spielen nicht nur durch die im Spiel erreichten Erfolge honoriert, sondern zusätzlich durch soziale Aspekte (Gruppenzugehörigkeit, Anerkennung) weiter gefördert.
Fazit: Bei einer PC-Spielsucht sind die Betroffene demnach weniger von einem Suchtmittel (psychoaktive Substanz) abhängig, sondern vielmehr von dem Gefühls-, Erlebnis oder Bewusstseinszustand, der durch das Spielen hervorgerufen wird. Probleme im Alltag, am Arbeitsplatz oder besonders schwierige Lebenslagen werden verdrängt und scheinen nicht mehr relevant. Das Spielen “erleichtert” scheinbar das echte Leben.
Gerade junge Menschen sind gefährdet: Je länger und häufiger Kinder und Jugendliche Computerspiele nutzen, desto höher ist das Suchtrisiko. Dies gilt auch für andere der sogenannten “Neuen Medien”. Eltern sollten deshalb gemeinsam mit ihren Kindern klare Regeln für den Umgang mit verschiedenen Medien aufstellen, um die Gefahr einer Entstehung von Computerspiel-, Social-Media-, Smartphone-, Internetsucht etc. einzudämmen.
Videospielsucht-Therapie Berlin: Spieler durchbrechen selbst den Teufelskreis
Die Anerkennung als eigenständige Störung ist ein wichtiger Schritt, um die Forschung im Bereich eigenständiger Behandlungsmethoden voran zu treiben. Im Gegensatz zu anderen Suchtformen, bspw. Drogensucht oder Glücksspielsucht, kann man den Auslösern der Sucht — PC, Handy, Internet etc. — heutzutage nicht mehr durch strikte Vermeidung entgehen. Der Fokus liegt bei der Videospielsucht-Therapie vielmehr auf dem Erlernen einer kontrollierten Computernutzung und des sinnvollen Umgangs mit ähnlichen Medien, wobei alte Verhaltensmuster durchbrochen werden müssen.
Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Computerspielsucht zumeist mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörung, Impulsstörung oder Persönlichkeitsstörung einhergeht. Diese können möglicherweise auch ein auslösender Faktor der Computerspielsucht sein und müssen deshalb ebenfalls behandelt werden.
Von elementarer Bedeutung für eine erfolgreiche Therapie gelten insbesondere zwei Aspekte:
- Erstens sollte es einen strukturierten Tagesablauf geben, unter anderem mit einem geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus, regelmäßigen Mahlzeiten und geregelten Schul- bzw. Arbeitszeiten.
- Zweitens wird der Fokus auf die Wiederaufnahme von sozialen Kontakten gelegt, die in der “realen” Welt vor der Suchterkrankung bestanden. Hierbei sollen die Patienten auch Verhaltensmuster, die Erfolge in der “realen” Welt herbeiführen, wiedererlernen.
Besonders häufig wird bei jeglichen Suchterkrankungen die Verhaltenstherapie angewandt. Bei dieser Behandlung versucht der Patient, sein eigenes Verhalten zu beobachten und zu bewerten. Die Ergebnisse werden mit dem Psychotherapeuten besprochen und dann immer weiter modifiziert, sodass krankhafte Verhaltensweisen kaum noch auftreten. Mit der Zeit wird der Patient sensibler für sein eigenes Verhalten, nimmt sich selbst reflektierter wahr und kann pathologische Züge selbst rechtzeitig erkennen. Die Verhaltenstherapie ist somit ein sehr transparenter Prozess für Patienten.
Eine Sozialberatung kann eine Psychotherapie dadurch ergänzen, indem sie Alternativen und Wege für den Arbeitsplatz, die Familie und Freunde aufzeigt.
Selbsttest: Ich spiele gerne und regelmäßig Videospiele. Bin ich spielsüchtig?
Nicht jeder, der beim Spielen mal etwas schleifen lässt, ist gleich abhängig von Computerspielen. Damit eine gesunde Begeisterung von krankhafter Abhängigkeit abgegrenzt werden kann, sind oben genannte Kriterien in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Hierbei können Reflexionsfragen helfen, die Sie kritisch und ehrlich beantworten müssen. Auch die Beantwortung durch eine außenstehende, nicht-spielende Vertrauensperson kann Ihnen helfen.
- Beschäftigen Sie sich mit Ihrem Computerspiel gedanklich sehr viel, z.B. um neue Gewinnstrategien zu überlegen oder Spielhandlungen zu planen?
- Haben Sie schon versucht, Ihre Spielzeit einzuschränken oder zu kontrollieren und das als schwer empfunden?
- Hat Ihr Spielverhalten schon zu Problemen in der Beziehung zu nahe stehenden Menschen geführt?
- Haben Sie Ihr Spielverhalten gegenüber anderen Menschen verheimlicht oder versucht, es zu verheimlichen?
- Waren Sie jemals unruhig oder gereizt, wenn Sie nicht oder weniger gespielt haben?
- Haben Sie wegen eines Spielverlustes immer häufiger gespielt, weil Sie hofften, Ihre Verluste wieder aufzuholen?
- Haben Sie schon absichtlich Termine versäumt, um die Zeit für Ihr Videospiel zu nutzen?
- Verkürzen Sie Ihre Schlafenszeiten, um die gewonnene Zeit optimal mit Spielzeit zu füllen?
- Haben andere Personen Sie in negativer Weise schon mehrfach auf Ihr Spielverhalten angesprochen?
- Fühlen Sie sich beim Spielen immer häufiger ziellos, gelangweilt und empfinden Frust?
Der Übergang von gesundem Spielverhalten zu Extremverhalten kann sich schleichend entwickeln. Wenn Sie wenigstens fünf der genannten Fragen mit ‚ja‚ beantworten können, einen Großteil Ihrer Zeit mit Zocken verbringen und bereit sind, Hobbys, Schule, Arbeit, Partner und Angehörige für Spielzeit zu opfern, sollten Sie ein Hilfsangebot in Betracht ziehen.
Auch wer ein problematisches Verhalten bei Freunden oder innerhalb der Familie bemerkt, kann professionelle Beratung bei einer Sozialstelle oder einem Therapeuten in Anspruch nehmen.